Interview Christoph Lucks
„Brückeneinsturz in Genua – Kann das auch bei uns passieren?“
Christoph Lucks, 53, ist Gründer und Geschäftsführer der BMG Bauwerk Monitoring GmbH, Hamburg. Das Unternehmen wurde 2018 gegründet und hat ein Laser-Mess-System für die Zustandsüberwachung von Ingenieurbauwerken entwickelt. Das System kommt bereits an mehreren Brücken zum Einsatz.
Herr Lucks, wer heute an die Sicherheit von Brücken denkt, dem fällt beinahe zwangsläufig der Einsturz der Morandi-Brücke in Genua im August 2018 ein, bei dem 43 Menschen starben und rund 200 Menschen verletzt wurden. Die Ermittlungsbehörden schließen einen schicksalhaften Einsturz aus, ebenso, dass ein Blitzeinschlag ins Bauwerk der Auslöser gewesen sein könnte…
Christoph Lucks: Sie werden verstehen, dass ich mich an solchen Spekulationen weder beteiligen kann noch möchte. Tatsache aber ist, dass strukturelle Probleme der Brücke bekannt waren. Tatsache ist auch, dass wir heute, rund 50 Jahre später, anders bauen und auch bessere Materialien verwenden. In der Baugeschichte gilt Beton ja nach wie vor als ein relativ neues Material, und wie Beton und eingebundene Stähle altern, wissen wir nur durch solche Brücken. Das entbindet jedoch niemanden von der Verantwortung, sie zu erhalten. Dass die Ponte Morandi offensichtlich vernachlässigt wurde, gilt inzwischen als sicher. Doch eine Vernachlässigung der Infrastruktur war und ist zumeist eine politische Entscheidung – überall, nicht nur in Italien.
Wie meinen Sie das?
Christoph Lucks: Nach dem Einsturz der Morandi-Brücke stellte es sich durch Untersuchungen und Recherchen heraus, dass rund 300 italienische Brücken massiv geschädigt und zum Teil sogar einsturzgefährdet sind. Bei uns in Deutschland werden zurzeit rund 6500 Brückenbauwerke als marode, aber nicht als einsturzgefährdet eingestuft, da wir über ein recht effizientes Kontrollsystem verfügen. Je nach Konstruktionstyp werden äußere Schadensanzeichen erst sehr spät an der Oberfläche sichtbar, was ein Sicherheitsrisiko darstellen kann und auch schon zu katastrophalen Unfällen geführt hat. Mit anderen Worten: Wenn man also aus der Katastrophe von Genua irgendetwas Positives ziehen kann, dann ist es, dass überall das Bewusstsein dafür gewachsen ist, dass Schäden tatsachlich zu einem Versagen der Struktur führen können.
Wie bewerten Sie die Situation hierzulande? Gehen wir mit diesem Infrastrukturproblem leichtfertig um?
Christoph Lucks: Nein, ganz sicher nicht. Aber die Baulastträger stecken in einem Dilemma. Sie müssen sowohl die Verkehrssicherheit als auch den Verkehrsfluss sicherstellen und dabei die Kosten in einem erträglichen Rahmen halten. Folgen sie dem Vorsorgeprinzip und reißen die Brücken schon bei den ersten Anzeichen einer Schädigung ab, werden die Kosten unverhältnismäßig hoch. Sperren sie die Brücken vollständig, entsteht ein Verkehrschaos. Beides ist meines Erachtens unnötig.
Wie wird denn mit den „Problembrücken“ bei uns umgegangen?
Christoph Lucks: Üblicherweise wird bei diesen sogenannten „Problembrücken“ mit zunehmender Schädigung das Intervall der Brückenprüfungen verkürzt, üblicherweise von drei Jahren auf halbjährliche Prüfungen, manche Brücken werden sogar täglich inspiziert. Das Problem bei Brückenprüfungen ist, dass man dabei nur die Schäden an der Oberfläche erkennen kann. Diese sichtbaren Schäden werden aber durch Veränderungen der Struktur im Inneren hervorgerufen. Diese Veränderungen können aber nur mittelbar erkannt werden.
Heißt das, dass Bauwerksprüfungen bei geschädigten Brücken nicht ausreichend sind?
Christoph Lucks: Gerade bei kritischen Bauwerken, kann mit dem Einsatz einer geeigneten Messtechnik die Entscheidungssicherheit hinsichtlich der Weiternutzung wesentlich erhöht werden. Wir reden hier über Zeiträume von 5 bis 10 Jahren zwischen der Entscheidung zum Abriss der vorhanden und der Inbetriebnahme der neuen Brücke. Dabei muss man immer abwägen, mit welchen Maßnahmen die Verkehrssicherheit in diesem Zeitraum auch unter Kostengesichtspunkten sichergestellt werden kann. Aktuell werden in Deutschland von den 6.500 kritischen Brücken rund 100 Brücken messtechnisch überwacht.
Sie kommen ursprünglich aus der Windindustrie. Welche Erfahrungen haben Sie dort mit Monitoringsystemen gemacht?
Christoph Lucks: In Deutschland gibt es etwa 30.000 Windkraftanlagen. Mittlerweile ist es technischer Standard, dass jede neue Anlage mit einem System für die Zustandserfassung versehen ist. Windkraftanlagen und Brücken sind beides dynamisch hoch belastete Bauwerke und unterliegen dem Verschleiß. Es hat sich gezeigt, dass Windkraftanlagen mit einem Monitoringsystem wesentlich sicherer und effektiver betrieben werden können.
Sowohl Windkraftanlagen als auch Brücken sind Systeme, bei denen die Eingangslasten – Wind oder Verkehr – nicht geregelt werden können. Windkraftanlagen werden für eine Nutzungsdauer von 20 Jahren ausgelegt, Brücken für 100 Jahre. Der Wind hat sich in den letzten Jahren nicht so stark verändert wie das Verkehrsaufkommen. Als Brücken vor 50 Jahren gebaut wurden, konnte man sich nicht vorstellen, dass sich sowohl die Anzahl als auch das Gewicht von Lastkraftwagen sich so massiv erhöhen würden. In Verbindung mit optimistischen Prognosen zu den Materialeigenschaften haben wir heute den Stand, dass viele Brücken in der Planung für 100 Jahre ausgelegt wurden, aber nur 50 Jahre halten. Das ist das aktuelle Problem.
Welche Maßnahmen schlagen Sie für die Lösung dieses Problems vor?
Christoph Lucks: Zunächst würde ich die Dramatik aus der aktuellen Diskussion herausnehmen. Verschiedene Tests an vorgespannten Betonbrücken und in Bauteilversuchen mit Original-Brückenabschnitten haben ergeben, dass es den befürchteten Reißverschlusseffekt nicht gibt. Die Bauweisen sind fehlertoleranter als gedacht. Es zeigt sich, dass strukturelle Veränderungen in Spannbetonbrücken messtechnisch erfasst werden können, bevor erste Risse an der Oberfläche sichtbar werden. Mit dem Einsatz von Monitoringsystemen kann die Restnutzungsdauer daher erheblich verlängert und optimal ausgenutzt werden.
Warum wird diese Technik noch nicht flächendeckend eingesetzt?
Christoph Lucks: Das Thema „Bauwerkmonitoring“ ist relativ jung und stellt besondere Ansprüche an die Messtechnik. Sie muss charakteristische Größen erfassen und langlebig sein. Derzeit werden verschieden Technologien, die sich bereits in anderen Anwendungen bewährt haben, an Brücken erprobt. Dabei kam heraus, dass Verschiebungen der Eigenfrequenzen und Änderungen des Biegeverhaltens gerade bei Spannbetonbrücken geeignete Messgrößen darstellen. Die Zustandsüberwachung per Messtechnik befindet sich jedoch noch in den Kinderschuhen. Es gibt verschiedene Ansätze, die Erfolgsversprechend sind. Eine „One-fits-all“ Lösung wird es wohl nicht geben. Dazu sind die Bauweisen zu verschieden. Für jede Bauweise gilt es, die geeignete Methode zu finden.
Herr Lucks, Ihr Unternehmen setzt bei Ihrem Monitoringsystem Laser ein. Warum?
Christoph Lucks: Aufgrund unserer Erfahrung aus der Windindustrie wissen wir, dass Laser sehr zuverlässig und langlebig sind. Es gibt keinen Verschleiß in der Messstrecke. Laser funktionieren, oder sie funktionieren nicht. Wenn ein Sensor versagt, kann man ihn einfach ersetzen und nahtlos auf den bisherigen Messwerten aufbauen. Gerade bei einem Einsatzzeitraum von mehreren Jahren ist das eine wichtige Größe. Neben Umwelteinflüssen wollen wir uns nicht auch noch mit dem Drift von Messwerten auf Grund alternder Messstrecken auseinandersetzen. Darüber hinaus liefern Laser exzellente Messwerte. Wir erfassen Verformungen über Entfernungen bis zu 100 Metern mit einer Genauigkeit im Bereich von weniger als einem Millimeter. Bisherige Test haben ergeben, dass Strukturschäden über die Verformung in der Größenordnung von drei bis 30 Millimeter sichtbar werden. Mit unseren Lasern können wir beginnende Schäden also schon sehr früh sehr zuverlässig und genau erfassen.
Die Messgenauigkeit Ihres Systems ist beeindruckend. Können Sie zum Abschluss noch etwas zu den Kosten sagen?
Christoph Lucks: Die Kosten für Monitoringsysteme liegen üblicherweise in Größenordnung zwischen 1/1.000 und 1/100 der Gesamtkosten für den Ersatzneubau. Die einzelnen Messysteme unterscheiden sich dabei preislich nur unwesentlich. Volkswirtschaftlich ist es sinnvoll, die vorhandene Infrastruktur optimal zu nutzen. Mit der Zustandsüberwachung von Brücken können nicht nur Staus durch unnötige Sperrungen von Fahrstreifen vermieden, sondern es können auch die Mittel für die Erhaltung und den Ausbau der Infrastruktur wesentlicher effizienter eingesetzt werden.
Die BMG Bauwerk Monitoring GmbH aus Hamburg entwickelt Messsysteme für die Zustandsüberwachung von Ingenieurbauwerken. Unsere Zielgruppen sind Ingenieurbüros die öffentliche Hand . Seit 2018 stehen wir für innovative Sicherheits- und Messtechnik im Brückenbau.
Für weitere Informationen besuchen Sie unsere Webseite: www.bauwerkmonitoring.de
bmg Bauwerk Monitoring GmbH
Jarrestrasse 27
22303 Hamburg
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