Grüner Wasserstoff ist eine Schlüsseltechnologie zur Umsetzung der Energiewende. Mit dem vielfältig einsetzbaren Energieträger lassen sich erneuerbare Energien flexibel speichern und in andere Energieformen umwandeln. Gleichzeitig spielt Wasserstoff eine wesentliche Rolle bei der Sektorenkopplung, d. h. der Vernetzung von Strom-, Wärme- und Mobilitätssystemen. Darum hat das Thema Wasserstoff auf europäischer und internationaler Ebene in den letzten Jahren eine hohe Dynamik entwickelt. Die effiziente Skalierung von Technologien zur Erzeugung grünen Wasserstoffs ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, Wasserstoff zu einem wirtschaftlich tragfähigen Teil der Energiewende zu machen. Für diesen notwendigen massiven Kapazitätsausbau braucht die Wasserstoffindustrie Kunststoffe. Wie sind Kunststoffe in der Wasserstofftechnologie einsetzen lassen und wie man die beiden Branchen zusammenbringen kann zeigt das Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen beim 32. Internationale Kolloquium Kunststofftechnik.

Netzwerk zwischen Wasserstoffwirtschaft und Kunststoffindustrie geknüpft:

Mit seinem im Mai 2023 gestarteten „Hydrogen Business and Technology Forum“ hat das IKV inzwischen ein enges Netzwerk zwischen der Wasserstoffwirtschaft und der Kunststoffindustrie geknüpft und bringt dort regelmäßig Anforderungs- und Anwendungs-Know-how mit Material- und Produktions-Know-how zusammen.

Hervorgegangen ist das „Hydrogen Business and Technology Forum“ aus der vom IKV im Jahr 2021 initiierten und im November 2022 abgeschlossenen Markt- und Technologiestudie zur Potentialanalyse von Kunststoffen in der Wasserstoffwirtschaft. Die Studie betrachtet Märkte inkl. Zulieferer und Endnutzer und analysiert nach der System Breakdown-Methode systematisch die relevantesten Wasserstofftechnologien. Daraus wird der Forschungsbedarf abgeleitet und die Entwicklung des Kunststoffmarktes infolge der entstehenden Wasserstoffwirtschaft prognostiziert. Bereits an der Studie waren mehr als 20 Industriepartner beteiligt.

Mit regelmäßigen Workshops und einen kontinuierlichen Market & Technology Monitoring setzt das IKV die Arbeit nun im „Hydrogen Business and Technology Forum“ fort. Kick-off für das Forum war der 16. Mai 2023. Künftig werden sich die Vertreter beider Industrien halbjährlich in Aachen treffen, um über Herausforderungen und Trends zu referieren und zu diskutieren. Neben dem fachlichen Austausch bietet dieses Forum eine ideale Plattform für das Networking. Darüber hinaus treffen sich die Forumsmitglieder auch außerhalb der regulären Termine zu Workshops, bei denen einzelne Mitglieder die Rolle des Gastgebers übernehmen. So begrüßte Freudenberg FTI in diesem Sommer die Forumsmitglieder im eigenen Haus, um die Herausforderungen bei Prüfung und Analyse von Kunststoffen in Wasserstoffanwendungen zu diskutieren.

Aus der Wasserstoffstudie und den Aktivitäten des „Hydrogen Business and Technology Forum“ entstand bereits ein erstes Forschungsprojekt: Im November 2023 startet gemeinsam mit dem Institut für Schweißtechnik und Fügetechnik (ISF) der RWTH Aachen ISF und der Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) das mit 1,6 Mio. EUR geförderte Forschungsprojekt Poly-H2-Pipe. Erforscht werden soll die Auslegung endlosfaserverstärkter Rohrsysteme auf den spezifischen Anwendungsfall der Anlagenperipherie des Elektrolyseurs bzw. in Medienleitungen der Brennstoffzelle.

Erfolgreiche Forschung zu Typ IV-Druckbehältern:

Bereits 2018 hat das IKV im vom Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) geförderten Projekt DELFIN begonnen, alternative Materialien und Fertigungsprozesse zur Herstellung von Typ IV-Druckbehältern für die Speicherung von Wasserstoff zu erforschen. Diese bestehen aus einem innenliegenden Thermoplast-Liner zur Abdichtung und einem aus kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen (CFK) gewickelten Mantel zur Lastaufnahme. Im Rahmen des Forschungsprojekts entwickelte das IKV eine optische Messmethodik und angepasste Bildverarbeitungsalgorithmen zur in-line Qualitätsüberwachung des Wickelverfahrens, um prozessseitige Abweichungen der Faserbandablage zu quantifizieren, einen digitalen Zwilling zu erzeugen und diesen für die realitätsnahe Abbildung der Druckbehälter in der Auslegung zu nutzen.

Nach erfolgreichem Abschluss des Forschungsprojektes DELFIN und des Folgeprojektes DELFIN2 wird die Forschung an Typ IV-Druckbehältern aus CFK nun fortgesetzt. Dabei verfolgt das IKV den Ansatz, die Einflüsse von verschiedenen Randbedingungen und Fehlern aus dem Fertigungsverfahren auf die Bauteilqualität zu identifizieren und anschließend die Funktionalität der Bauteile zu bewerten. Um die Daten optimal mit dem Prozess zu verknüpfen und nutzen zu können wird der gesamte Prozess über einen Digitalen Zwilling abgebildet.

Im Sommer 2023 startete dazu das Forschungsprojekt DAVID (Digitale Auslegungsmethoden von in-line-überwachten Druckbehälten), das das IKV als Nachfolgeprojekt von DELFIN initiiert hat. In dem Konsortialprojekt mit insgesamt zehn Partnern aus der Industrie und Forschung (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Elkamet Kunststofftechnik GmbH, Envalior GmbH, FORWARD ENGINEERING GmbH, FORM+TEST Seidner & Co. GmbH, ISATEC GmbH, NPROXX Jülich GmbH, Westlake Epoxy GmbH, Teijin Carbon Europe GmbH) hat das IKV daher auch die Konsortialführerschaft. DAVID wird Rahmen des Technologietransfer-Programms Leichtbau des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit 6,3 Mio. EUR gefördert.

Mit DAVID soll durch Ressourceneffizienz und -substitution bei der Herstellung eine CO2-Einsparung von 21 % CO2-eq je Behälter erreicht werden. Dazu sollen neue durchgängige digitale Auslegungsmethoden und inline-Qualitätssicherungsmaßnahmen angewendet und neue angepasste Werkstoffkompositionen (Towpregs) und Verarbeitungstechnologien eingesetzt werden. Das technologische Ziel ist eine realistische Beschreibung der Behälterwerkstoffe und des Gesamtsystems während der Herstellung und des Produktlebenszyklus. Wechselwirkungen zwischen Maschine Prozess, Material, Morphologie und Werkstoffeigenschaften werden experimentell und simulativ analysiert, mit geeigneten Methoden modelliert und für Optimierungen in der Simulation in Form eines digitalen Zwillings der gefertigten Druckbehälter nutzbar gemacht. Das IKV will einen Triaxialprüfstand mit Wasserstoff als Druckmedium entwickeln und in Betrieb nehmen, um anwendungsnahe Werkstoffprüfungen an Thermoplasten, Faserverbundkunststoffen sowie Elastomeren durchführen zu können. Dies wird völlig neue Möglichkeiten der Werkstoffprüfung eröffnen, die als Basis für die Entwicklung von Werkstoffmodellen für die Wasserstoffindustrie dienen können.

Wartungsarme mobile Hochdruckspeicher:

Inhaltlich eng mit dem Projekt DAVID verknüpft ist das Projekt HyInnoTank – Wartungsarme mobile Hochdruckspeicher, das in drei Phasen zu je drei Jahren von 2021 bis 2030 läuft. Das Projekt wird Rahmen des Zukunftsclusters Wasserstoff des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in den ersten beiden Phasen von jeweils drei Jahren mit 2,2 Mio. EUR gefördert. Im Rahmen des Projektes wird eine Methodik zur Instrumentierung von Typ IV-Druckbehältern mit Sensorfasern zur Dehnungsfeldüberwachung entwickelt. Durch die dauerhaft im Behälter eingebettete Sensorik wird dessen strukturelle Integrität während der Einsatzdauer überprüft, was Wartungskosten und Stillstandzeit bedeutend reduziert. Die Kenntnis der lokalen Dehnungen an verschiedenen Positionen des Druckbehälters innerhalb des Laminats liefert Informationen zum Werkstoffverhalten in verschiedenen Belastungsszenarien und damit einen bedeutenden Mehrwert für die Behälterauslegung und -beurteilung. Diese Technologie soll intelligent mit der Schallemmissionsanalyse gekoppelt werden, um eine ganzheitliche Beurteilung der Behälterstruktur zu ermöglichen und Structural Health Monitoring Level fünf zu erreichen. Ein weiteres Projektziel ist die Entwicklung eines Modells zur Abschätzung des Restberstdrucks und der Restlebensdauer von Druckbehältern auf Basis des Sensorsignals nach deren typischer Einsatzzeit von 20 Jahren, woraus sich Optionen zur Nachnutzung der Behälter ableiten lassen (Second Life Ansatz).

Die Partner im Konsortialprojekt HyInnoTank sind: Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University (ITA), NPROXX GmbH, F. A. Kümpers GmbH & Co.KG, ISATEC GmbH, Institut für Strahlantriebe und Turboarbeitsmaschinen (IST) der RWTH Aachen University, Vallen Systeme GmbH.

H2-Permeationsprüfstand am IKV:

In der Arbeitsgruppe Plasma- und Oberflächentechnik wird seit einem Jahr ein Messstand zur Bestimmung der H2-Permeation durch beliebige Probengeometrien entwickelt. Das IKV verfügt bereits über jahrelange Erfahrung auf dem Gebiet der O2- und H2O-Permeationsmessung mit kommerziell verfügbaren Messgeräten und hat dieses Portfolio nun für eine Kooperation mit einem Industriepartner erweitert. Da der Aufbau vollständig am IKV entwickelt wurde, ist das IKV in der Lage flexibel auf verschiedenste Anforderungen an die Messungen einzugehen. Zurzeit sind Messungen bei Drücken bis zu 16 bar und Umgebungstemperatur möglich. Mit der entsprechenden Anpassung lassen sich – je nach den Anforderungen von Projektpartnern und Kunden – auch andere Bedingungen umsetzen. Die Gaszusammensetzung wird mittels Massenspektrometrie ermittelt, sodass auch Gasgemische bestimmt werden können. Der Messstand wird nun in verschiedenen Forschungsprojekten eingesetzt, und steht auf Anfrage auch gerne für Kooperationspartner aus der Industrie zu Verfügung.

Wasserstoff beim 32. Internationalen Kolloquium Kunststofftechnik:

Mit dem Thema Wasserstoff befasst sich beim Kolloquium v. a. die Session 9 „Structural Health Monitoring von Wasserstoff-Druckspeichern“ mit einer Keynote aus der Industrie sowie zwei wissenschaftlichen Präsentationen aus dem IKV.

Im Rahmen von IKV 360° ‒ Forschung live erklären die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an verschiedenen Stationen im IKV-Technikum die aktuellen Forschungsansätze zum Thema Wasserstoff und stehen für Diskussionen zur Verfügung.

Über Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen

Das Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) ist das europaweit führende Forschungs- und Ausbildungsinstitut auf dem Gebiet der Kunststofftechnik. Aus einem ganzheitlichen Ansatz heraus erarbeitet das IKV neue Lösungen für die Kunststofftechnik der Zukunft. Dazu sind rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter 80 Wissenschaftler, 50 Verwaltungsangestellte und 180 studentische Hilfskräfte in Forschung und Entwicklung tätig.

Das IKV steht für die wissenschaftliche und praxisorientierte Forschung auf dem Gebiet der Kunststofftechnik, die Ausbildung Studierender der RWTH Aachen, die Förderung von Aus- und Weiterbildung im Handwerk und den Technologietransfer von Forschungsergebnissen in die industrielle Praxis.

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