Im Vorfeld der Landtagswahl in Bayern war zu beobachten, dass bei der medialen Verbreitung von Umfrageergebnissen häufiger als zuvor betont wurde, dass diese keine Wahlprognosen seien. Manche Grafiken waren gar mit dem Stempel „KEINE PROGNOSE“ versehen. Nach wie vor wurden jedoch auch Schlagzeilen produziert, die dem Reiz der Prophezeiung nicht widerstehen konnten; Umfrageergebnisse und Momentaufnahmen konnten als „Voraussagen“ wahrgenommen und als Prognosen missverstanden werden.

Demoskopie und ihre Befunde sind omnipräsent und vermitteln den Eindruck, dass die Stimmungen und Meinungen des Wahlvolkes sich so einfach auslesen lassen wie der Gaszähler im Keller zum Jahresende. Kaum ein Tag vergeht ohne die Veröffentlichung und Interpretation neuer Zahlen zur politischen Stimmung. Journalist*innen und Politikstrateg*innen konsumieren diese „Wasserstandsmeldungen“ ebenso wie ein politikinteressiertes Publikum. Während etwa in Frankreich oder Italien vor einem Urnengang Veröffentlichungsverbote für Umfrageergebnisse gelten, wird hierzulande teilweise bis zum Wahlsonntag auf beliebte Formate wie die ‚Sonntagsfrage‘ geschielt. Doch auch in Bayern wich der tatsächliche Wahlausgang in nicht unerheblichem Ausmaß von den letzten Umfragewerten ab. Wie entstehen diese Ergebnisse? Sind sie verlässlich? Welche Wirkungen hat ihre Veröffentlichung auf Meinungsbildung und Wahlverhalten? Steuert die Demo skopie die Politik, schaden Umfragen der Demokratie?

Die Otto Brenner Stiftung veröffentlicht jetzt, zwischen Bayern- und Hessen-Wahl, eine kritische Bestandsaufnahme über den Zustand und aktuelle Probleme der Demoskopie in Deutschland – und warnt im Titel vor einem Schulterschluss zwischen Demoskopie, Medien und Politik. Der Blick hinter die Kulissen der Meinungsforschung zeigt, dass sich deren Produktionsbedingungen gerade tiefgreifend ändern und mit harten Bandagen um Methoden, Profile und Etats der Zukunft gestritten wird. Die Front verläuft zwischen „etablierten“ Kräften der Branche (wie z.B. Forschungsgruppe Wahlen, Infas und Forsa) und neuen Herausforderern, allen voran das Berliner Start-up Civey, das mit viel Wucht in den Markt der Meinungsforschung drängt. Im Zentrum steht die Frage, wer „echte“ Repräsentativität gewährleisten kann. Auf dieses Gütesiegel will kein Demoskop verzichten. Demnächst wird darüber möglicherweise sogar juri stisch entschieden. Zudem wirft das über Jahrzehnte entstandene Beziehungsgeflecht – der „Schulterschluss“ zwischen Meinungsforschung, Medienhäusern und Politik – eine Reihe von Fragen auf. Kritisch muss auch die Nähe prominenter und einflussreicher Meinungsforscher zu zentralen Akteuren der politischen Arena hinterfragt werden. Mit Blick auf die vergangene Landtagswahl in Bayern und die kommende Wahl in Hessen warnt OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand: „Man muss sich fragen, ob die Flut von Untersuchungen mit ihrem wahrgenommenen Genauigkeitsversprechen auf Dauer der politischen Meinungsbildung des Publikums wirklich zuträglich ist“. Legrand gibt zu bedenken: „Politik, die sich immer stärker bei Entscheidungen von Momentaufnahmen der Umfrageinstitute leiten lässt, verliert an Profil, wirkt „ferngesteuert“ und verzichtet auf originäre Gestaltungsfähigkeit.“ Dass größ ere Parteien für viele inhaltlich immer ähnlicher und immer weniger unterscheidbarer werden, könne auch ein Resultat des Drucks sein, der von den Ergebnissen demoskopischer Untersuchungen ausgeht, heißt es bei der Stiftung.

Ein weiteres Problem: Die Kooperationen zwischen Demoskopen und ihren Auftraggebern aus Medien und Politik scheinen bisher für die Ewigkeit geschlossen: Das ZDF-Politbarometer erstellt seit 1977 die Forschungsgruppe Wahlen – seit vielen Jahren beauftragt das Bundespresseamt immer dieselbe Handvoll Institute mit Exklusivbefragungen. Jetzt aber, so das Diskussionspapier der OBS, sind die schnellen Online-Medien Vorreiter und setzen auf eine „Meinungsforschung in Echtzeit“, wie sie Civey offeriert. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis andere Abnehmer von Umfrageergebnissen nachziehen. Meinungsforschung, die auf Telefoninterviews basiert, ist teuer und stößt längst an Grenzen, und so liegt es nahe, zukünftig das Internet vermehrt für Meinungserhebungen zu nutzen. „Allerdings“ – räumt Studienautor Thomas Wind ein – „müssen die neuen Datenlieferanten auch plausibel nachweisen, dass auf ihre Zahlen Verlass ist. Sonst wäre das Ende der Gewissheit tatsächlich eingeläutet“.

Thomas Wind: Demoskopie, Medien und Politik. Ein Schulterschluss mit Risiken und Nebenwirkungen. OBS-Arbeitspapier 34, Frankfurt am Main, im Oktober 2018.

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