Die Digitalisierung verändert die Wirtschaft mit zunehmend automatisierten Prozessen, selbstständig handelnden Maschinen und einer immer engeren Vernetzung. Uwe Beyer, Abteilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Sankt Augustin, erläutert im Interview mit ECOVIS red, was das für deutsche Unternehmen bedeutet.

Die Digitalisierung birgt Chancen und Risiken für die deutsche Wirtschaft. Sind die Unternehmen vorbereitet und auf welche Herausforderungen müssen sie sich einstellen?
Die Digitalisierung ist ein schon seit vielen Jahren laufender Trend, den der deutsche Mittelstand sehr ernst nimmt. Die Unternehmen prüfen aber allein schon aufgrund ihrer begrenzten Kapitaldecke sehr realistisch die Chancen und Risiken. Ungeachtet dessen hat die Bereitschaft zu handeln vor allem in den vergangenen zwei Jahren stark zugenommen. Im Kern geht es bei den meisten der von uns beratenen Firmen um zwei Fragen: Kann ich durch den vermehrten Einsatz von Computern mein Geschäft verbessern? Verpasse ich Chancen, wenn ich es nicht tue?

Welche Chancen sehen Sie?
Zu den Chancen gehört es, durch den Eintritt in neue Marktsegmente oder als Leader zusätzliches Geschäft zu gewinnen. Vielleicht muss man aber auch dabei sein, weil die Konkurrenten oder der Markt einen dazu zwingen. Setzen Wettbewerber etwa verstärkt auf E-Commerce, bringt das mehr Preistransparenz und für alle Marktteilnehmer weniger stabile Kundenbeziehungen mit sich. Außerdem wird mit der Digitalisierung das gesamte Geschäft komplexer. Diese Komplexität ist wegen der damit verbundenen Investitionen möglicherweise nicht mehr umkehrbar. Die angestrebte Digitalisierung muss also mittel- bis langfristig sinnvoll und beherrschbar sein.

Welche kaufmännischen Überlegungen stehen im Vordergrund?
Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten zur Verlängerung der Wertschöpfungskette, aber auch zur Veränderung der Wertschöpfungstiefe. Ich kann also vielleicht flexibler entscheiden, wo ich zukaufe und was ich lieber selbst produziere. Andererseits wird das Unternehmen für den Kunden transparenter. Er sieht genauer als früher, wie ich die Leistungen für ihn erbringe, und erkennt Prozessbrüche in der Wertschöpfungskette sehr genau. Diese Brüche gilt es durch eine noch stärker abteilungsübergreifende Zusammenarbeit im Unternehmen und ein deutlich ganzheitlicheres Denken zu vermeiden.

Digitalisierung bringt organisatorische Veränderungen mit sich. Können etablierte Unternehmen etwas von Start-ups lernen?
Wo man Digitalisierung definitiv haben will, ist auch der Wille zur Veränderung da. Eine andere Frage ist, ob die Umsetzung wirklich gelingt. Andernfalls kann das auch existenzbedrohend sein. Start-ups dagegen, die sich und ihre Rolle im Markt erst noch finden müssen, haben kein Veränderungsproblem. Was mittelständische Unternehmen von ihnen lernen können, ist das freie Denken. Eine Lösung, um von der Dynamik junger Firmen zu profitieren, kann in Ausgründungen oder im Zukauf von Start-ups liegen.

Welche Möglichkeiten eröffnen Cloud- Computing oder virtuelle Produktionsverfahren und was bedeutet das für die Mitarbeiter?
Grundsätzlich geht es hier um die mit der betrieblichen Kern-IT verbundenen Chancen. Dazu gehören Kostensenkungen ebenso wie die Möglichkeit, an den globalen Märkten flexibler und schneller zu skalieren. Viele neue Technologien werden vor allem deshalb noch nicht so stark angenommen, weil sie ihre Bedeutung für die industrielle Produktion erst noch beweisen müssen. Manche Unternehmen schätzen die Chancen erst einmal konservativ ein. Das heißt aber nicht, dass sie diese neuen Technologien nicht nutzen, sobald sie ihre Markttauglichkeit bewiesen haben. Sicher ist schon jetzt, dass sich die Personalstrukturen in der Industrie 4.0 verändern werden. Aus fachlich handwerklichen Gründen, aber auch bedingt durch die Organisation und neue Formen der Zusammenarbeit wachsen definitiv die Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter.

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